Press clip : SAFE in PW-MAGAZINE

     
   

BY Wera Hippesroither

for PW-MAGAZINE, Wien
   
Was ist ein Safe Space? Julie Pfleiderers »SAFE« zwischen Hörspiel, Konzert und Theater
   
SAFE ist das Ergebnis der Zusammenarbeit der deutschen Regisseurin Julie Pfleiderer mit der Performerin Caroline Daish und dem belgischen Ictus Ensemble für zeitgenössische Musik. Letzteres ist mit Theaterproduktionen bereits bestens vertraut ist und hat gemeinsam mit Anne Teresa De Keersmaeker oder Wim Vandekeybus Choreographien erarbeitet. Die Performance basiert lose auf Todd Haynes gleichnamigen Film aus dem Jahr 1995. Die Hauptfigur Carol leidet an einer mysteriösen Krankheit, deren Ursachen nie geklärt werden, aber nach und nach zur völligen Isolation der Protagonistin führt. Die letzten Szenen des Films zeigen Carol in einer Art High-Tech-Bunker irgendwo in der Wüste. Zurückgezogen und vor jeglichen Einflüssen der Außenwelt geschützt, soll sie hier in Frieden leben (oder sterben?) können.
   
Haynes dystopisches Bild entstand zur Zeit der AIDS-Epidemie und ist ein ironischer und durchwegs beunruhigender Kommentar auf den gesellschaftlichen Umgang mit Erkrankten. Die Tatsache, dass nie klar wird, woran Carol eigentlich leidet, ob ihre Krankheit psychischen oder physischen Ursprungs ist und dass ein einsamer Bunker der letzte Ausweg ist, werfen die Frage auf, was ein Safe Space ist. Angesichts neuer Epidemien und psychologischer Krankheitsbilder einer westlichen Wohlstandsgesellschaft wie etwa Herzkreislauferkrankungen oder Erschöpfungsdepressionen, ist der Haynes Film aktueller denn je.
   
Pfleiderers Performance lädt dazu ein, die Figur Carol aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und über die eigene Definition eines Safe Space nachzudenken. Im neuen Studio Brut finden wir uns in einer ungewöhnlichen Theatersituation ein: es gibt weder eine Bühne noch einen dezidierten Raum fürs Publikum. An den Seiten des Raumes sind Sesselreihen angebracht, in der Mitte verteilen sich die PerformerInnen, zahlreiche technische Vorrichtungen und außerdem Hocker, auf denen auch Platz genommen werden kann. Quasi mitten im Geschehen, sehr unsafe also. Wir alle sind mit Kopfhörern ausgestattet und bald wird klar: schauen ist hier eigentlich gar nicht so wichtig, alles spielt sich auf der akustischen Ebene ab. SAFE beginnt zunächst wie ein Konzert, das Ictus Ensemble spielt diverse Instrumente, Daish setzt ihre Stimme als Instrument ein. Bald ist eine konkrete Stimmung hergestellt und Daish tritt in die Mitte. Zur musikalischen Ebene kommt jetzt eine erzählerische. Doch mehr als Gesprächsfetzen und Bruchstücke einer Geschichte bekommen wir nicht. Ständig wechselt die sprechende Position, die verschiedenen Figuren haben keine Namen, wer am Wort ist, weiß man eigentlich nie so genau.
   
Da ist eine erkrankte Frau – Carol, ihr Partner, der erst kürzlich verstorbene Hund, Diagnosen von ÄrztInnen und PsychologInnen, Sorgen und Ratschläge aus dem Umfeld. Immer wieder die Frage »Is she in pain? What does she have?«. Die Geschichte rund um diese Fragmente entsteht im Kopf des Publikums. Immer wieder lässt die Performerin den Satz einfließen »It’s you. Just, you. So. What do you see?«. Ob wir als ZuschauerInnen angesprochen sind oder das Wort an Carol gerichtet wird, ist nie klar. Genauso unklar wie die gesundheitliche Disposition der Figur ist auch die Position der TeilnehmerInnen an dieser Performance.
   
Stellenweise gleicht SAFE einer Meditation, immer wieder fühle ich mich direkt adressiert. Die schweren Studiokopfhörer sind dabei ein entscheidendes Element, kapseln sie doch gewissermaßen von der Umwelt ab, richten die Wahrnehmung nach innen, auf die eigene Atmung, die akustische Ebene. Der Blick schweift schnell ab. Was gesehen werden kann ist nicht ausschlaggebend und so schafft SAFE einen Theaterraum, in dem jede und jeder mit der Geschichte in der persönlichen Fantasie für sich allein ist und doch über die geteilte akustische Ebene verbunden bleibt. Pfleiderers Choreographie gerät auf diese Weise zu einer Reflexion über die Wirkkraft des Theaters an sich, denn ist ein Theaterraum in seiner Grundhaltung des Als Ob nicht auch immer ein Safe Space?
   
W.H.

PRESS

Mentioned in this article
From the Ictus Press-Book